7. Notwasserung
Vor Notwasserungen herrscht verbreitet Angst. Viele glauben, von der Ausrüstung am Auftauchen gehindert zu werden. Weil dann im Ernstfall versucht wird, sich so schnell wie möglich aus dem Gurtzeug zu befreien, wobei schnelle, hektische und unüberlegte Bewegungen gemacht werden, verheddern sich viele in den Leinen und kommen wirklich in Gefahr.
Unser Feind ist die Angst!
7.1. Mentale Vorübung:
Zieh Dein Gurtzeug an, schließe alle Schnallen. Nun lasse jemand die Zeit stoppen, und zieh Dein Gurtzeug ganz ruhig wieder aus. Du hast vermutlich zwischen 5 und 15 Sekunden zum Ausziehen des Gurtzeugs gebraucht.
Im Schwimmbad tauchst Du nun eine Strecke von ca. 10m und läßt wieder jemand die Zeit nehmen. Je nach Deinem Talent und Übung könntest Du das in 12 bis 25 Sekunden geschafft haben.
Nun atme (einmal) tief ein, tauche unter und halte, solange Du kannst, die Luft an. Wenn Du ungeübt bist, mußt Du wahrscheinlich nach ca. 1 Minute wieder auftauchen und atmen.
Mache Dir bewußt, daß Du also selbst im ungünstigsten Fall noch für mindestens 20 Sekunden Luft hast. Begnüge Dich nicht damit, das hier zu lesen und zu sagen "Aha, klar, stimmt, ist logisch". Probiere es selbst aus, Du mußt es erlebt haben. Im Notfall ist es wichtig, Ruhe zu bewahren. Probleme bei Notwasserungen kommen fast immer aus der Panik heraus.
Also noch mal: mach´es!
Die nächsten Übungen heißen so, weil sie anfangs nicht so ganz funktionieren, wenn jemand mit der Materie Wasser nicht sehr vertraut ist. Erst nach einiger Übung und Selbstüberwindung kommt der Erfolg.
Als nächstes springst Du mit all Deinen Klamotten ins Wasser (da Bademeister in öffentlichen Bädern darauf unterschiedlich reagieren dürften, sollte man das in einem natürlichen Gewässer machen) und schwimmst umher. Es ist etwas gewöhnungsbedürftig, mit Schuhen und Kleidern zu schwimmen, also mache Dich damit vertraut.
7.2. Toter Mann:
Nun atmest Du ein, bleibst bäuchlings im Wasser liegen und läßt Arme und Beine schlaff herabhängen. So läßt Du Dich treiben. Dabei baumelt auch Dein Kopf unter Wasser, halte Die Augen offen (Kontaktlinsen solltest Du dabei nicht tragen). Es ist wichtig, daß Du unter Wasser siehst, gewöhne Dich etwas an die ungewohnte Betrachtungsweise.
Nun atmest Du langsam aus. Dabei spürst Du, wie Du sofort etwas tiefer ins Wasser sinkst, weil Deine Lunge Dir Auftrieb gab. Drehe zum Einatmen den Kopf so weit seitlich nach hinten, daß Dein Mundwinkel über Wasser kommt (Arme und Beine bleiben schlaff hängen!!!) und atme ein. Sofort spürst Du den Auftrieb. Übe das nun einige Minuten. Das Beherrschen dieser Haltung ist Basis der weiteren Übungen und muß sitzen. (Abb. Totmann 1-2 [ in Arbeit])
Dabei wirst Du merken, daß man in dieser "Toter Mann" Haltung mit den Händen unter Wasser etwas arbeiten kann. Und zwar in aller Ruhe, Du kannst ja immer wieder Luft holen. Es kann Dir dabei überhaupt nichts passieren. Da sich im Ernstfall ja die Leinen des Schirmes nicht in Dir verheddern, sondern umgekehrt, hast Du auch schon die Lösung des ersten Problems gefunden: Nicht strampeln!
Nun ziehe in dieser Haltung Deine Schuhe und Kleider aus und wieder an. Langsam solltest Du etwas Routine in der Atemtechnik haben und auch merken, daß es langsam etwas unbequem wird. Warum also die Luft ins freie Wasser ausatmen?
7.3 Schwimmweste:
Klappe den Kragen Deiner Kombi hoch und öffne den Reißverschluß bis zur Mitte des Brustbeins. Jetzt packst Du den Kragen mit beiden Händen und ziehst in so nach vorn, daß die Kombi am Hals dicht schließt. Nun bläst Du Deine Ausatemluft mit angezogenem Kopf durch den etwas geöffneten Reißverschluß gegen das Brustbein in die Kombi, hältst mit den Händen zu, drehst den Kopf nach der Seite zum Einatmen und wiederholst das Ganze mehrfach. Du spürst, wie die Luft in die Schulterpartie Deiner Kombi steigt und Dich langsam aus dem Wasser hebt. So verwendest Du Deine Fliegerkombi als Schwimmweste. Das verlangt etwas Übung, bis Du den Bogen heraus hast, richtig zu blasen und den Kragen dicht zu halten und wird nicht auf Anhieb klappen.
Wenn die Luft allerdings hinten durch den Stoff entweicht, nützt das nichts, dann geht es mit diesem Stoff nicht. Trotzdem ist jetzt keine Zeit, über den Doppelsinn von "atmungsaktiven Kombis" nachzudenken. Dann mußt Du eben ohne den Komfort einer Schwimmweste auskommen. Also weiter "toter Mann" üben.
Wenn Du diese Übung beherrschst, kannst Du einer Wasserung schon deutlich gelassener entgegensehen.
7.4 Tauchen
Tauche mit offenen Augen tief und weit. Bewege dabei Deine Beine erst, wenn Du weggetaucht bist. Verändere die Haltung Deines Kopfes unter Wasser und beobachte, wie Du damit die Richtung bestimmen kannst. Der Kopf ist unter Wasser Seiten- und Höhenruder.
7.5 Sicherheitssprung
An der Kante des 5m Bretts verschränkst Du beide Oberarme eng über dem Brustkorb. Mit einer Hand hälst Du Dir die Nase zu. (Bei größerer Sprunghöhe kann das eintretende Wasser solchen Druck in der Nasennebenhöhle erreichen, daß Du bewußtlos wirst. Unter Umständen kann es sogar zu Brüchen der dort sehr dünnen Schädelbasis kommen) Gesicht und Mund werden mit den Handflächen geschützt. Die Beine werden eng geschlossen und leicht in Knie und Hüfte gebeugt. Blick gerade nach vorn, Kopf gerade halten! Jetzt einen Schritt nach vorn, Beine wieder schließen. Mit dieser Sprungtechnik kannst Du auch aus etwas größeren Höhen und mit Vorwärtsgeschwindigkeit eintauchen.
Die weiteren Übungen kannst Du alleine nicht durchführen. Übungen mit Flugausrüstung setzen voraus, daß ein Rettungstaucher im Wasser ist, der sofort eingreifen kann. Derartige Lehrgänge werden derzeit im zivilen Bereich nicht angeboten. (Die großen Airlines machen zwar Notwassertrainings für ihre Crews, aber das nützt uns nichts, weil dabei nur das Anwenden des umfangreichen Sicherheitsequipments eines Linienfliegers geübt wird. Wir bräuchten das Sea Survival Training der Marineflieger, aus dem die oben beschriebenen Vorübungen stammen.)
7.6. Eintauchen
Prinzipiell bleiben die Tragegurte in den Karabinern (Ausnahme: starker Zug am Schirm durch Wind oder Strömung und Verwendung von Schnelltrennkarabinern). Lose Tragegurte würden versinken und die Leinen unter Wasser ziehen, wobei die Beurteilung, wo Leinen hängen, deutlich erschwert würde. Da das Gurtzeug anfangs schwimmt, werden die Leinen dort zusammengehalten und Du kannst erkennen, wo Du mit Leinen zu rechnen hast. Auch wenn das vollgesogene Gurtzeug schließlich untergeht, hält es die Leinen straff.
Je nach Art Deines Protektors dauert es unterschiedlich lang, wann das Gurtzeug versinkt - falls es überhaupt versinkt. Manche Materialien saugen sich auch nicht voll und halten das Gurtzeug an der Wasseroberfläche.
Wenn Du bemerkst, daß eine Wasserung unvermeidlich ist, versuche, nah genug ans Ufer zu kommen, aber nicht so nah, daß Du in flaches Wasser fällst, es sei denn, es ist so seicht, daß Du normal landen kannst und nur nasse Füße kriegst.
Schwierigkeiten können auftreten, wenn die Wassertiefe zu gering (< 5m) ist, um ein Untertauchen der Leinen zu ermöglichen.
7.7. Abspringen
Ist das Wasser sicher tief genug für einen Sprung, fliegst Du mit dem Wind an, daß Du hinter Deinem Schirm ins Wasser kommst. Denke daran, über unbewegtem Wasser ist die Höhe schwer abzuschätzen. Überlege, ob Du zusätzliches Equipment irgendwie am Gurtzeug befestigt hast, z.B. Kamera, Sprechset, etc, dessen Sicherungen das Losschnallen behindern können und löse diese Verbindungen. Dann werden, falls vorhanden, die Kreuzgurte geöffnet, dann Brustgurt oder Zentralschloß, zuletzt die Beingurte. Stelle sicher, daß die Beingurte wirklich völlig frei sind. In ca. 3-4m Höhe streckst Du Dich aufrichtend durch, die Arme nach hinten gestreckt, daß Du aus den Schultergurten kommst. Die Beine hältst Du geschlossen leicht angewinkelt wie beim Sicherheitssprung. Sobald Du frei vom Gurt bist, wie geübt Nase verschließen, Gesicht schützen und einen Integralhelm am Kinnschutz festhalten. Bei Sprüngen aus größerer Höhe kann der Wasserstoß beim Eintauchen den Helm hochreißen, was zu Hautabschürfungen bis hin zur Strangulation führen kann. Nach dem Eintauchen Augen öffnen, getaucht vom Schirm wegschwimmen. Dabei beobachten, wo die Ausrüstung ins Wasser fällt. Gurt und Schirm schwimmen zunächst noch einige Zeit, nur die Leinen hängen durch.
7.8. Komplettwasserung:
Wenn Du ins Wasser eintauchst, wirst Du so stark abgebremst, daß der Schirm zwangsläufig weiter fliegt und mit der Eintrittskante aufs Wasser kommt. Du kommst bäuchlings zu liegen wie bei der "toter Mann" Stellung. Das zunächst noch schwimmende Gurtzeug unterstützt diese Lage. Da sich die Rettung schnell voll Wasser saugt, wenn sie vorher nicht ausgelöst wurde, wirst Du, falls Du so lange im Gurt bleibst, zunächst auf die Seite kippen, auf der die Rettung hängt.
Nun gilt: ruhig bleiben. Du hast genug Luft. Auch wenn ein Schirm über Dir liegt, enthält er genug Luft, daß Du einige Zeit atmen kannst.
- Öffne die Augen und warte ohne Bewegung, bis die Luftblasen, die Du beim Eintauchen mitgerissen hast, nach oben gestiegen sind und Du klare Sicht hast.
- Dann öffne methodisch alle Gurtverschlüsse. Stelle sicher, daß wirklich alle offen sind. Dabei bleiben die Beine leicht gegrätscht schlaff hängen. Drehe zum Atemholen nur den Kopf , daß ein Mundwinkel kurz über Wasser kommt und halte die Luft etwas.
- Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst!
- Halte immer die Beine ruhig, solange Du in der Nähe vom Schirm bist und bewege auch die Arme nur mit Bedacht. Besonders bei Ausholbewegungen ist die Gefahr groß, daß Du einige Leinen aufnimmst und Dich verhedderst.
Dann streckst Du Dich durch, Arme nach hinten gestreckt, Kopf gerade halten und tauchst nach unten aus dem Gurtzeug weg. Tauche möglichst tief und weit. Deine Leinen können etwa 3-4m tief durchhängen, halte also die Beine ruhig, schaue, wo Du hin schwimmst (am Wahrscheinlichsten ist das Wasser schräg hinter der Eintauchstelle frei). Wenn Du einige Meter vom Schirm weg bist, nimmst Du den Kopf leicht in den Nacken, dadurch schwimmst Du wieder nach oben und kannst jetzt wieder normal mit Beinbewegung schwimmen. Du tauchst in sicherer Entfernung vom auf dem Wasser liegenden Schirm auf.
7.9. Komplikationen:
7.9.1. Du verhedderst Dich in den Leinen:
Nicht strampeln. Nimm die "toter Mann" Stellung ein, schaue, wo Leinen verlaufen und streife Sie in Ruhe mit überlegten Bewegungen ab. Wenn Du frei bist, hole Luft und tauche tief weg.
7.9.2. Nach dem Eintauchen zieht der Schirm heftig an Dir:
Versuche, Dich mit dem Rücken in Zugrichtung zu drehen (wenn Du kannst, twiste Dich schon vor dem Eintauchen mit dem Rücken in Zugrichtung ein) und die Beine weit gegrätscht zu halten (das verlangt etwas Übung). Auf dem Hintern surfend öffnest Du nun wie beschrieben das Gurtzeug und befreist Dich.
Schnelltrennkarabiner erleichtern in diesem Fall das Freikommen. Wenn Du nach vorne gezogen wirst, zieht der Schirm Dich unweigerlich unter Wasser. Nutze dann die vorhandene Luft, um Dich zu befreien. Du hast eine Chance, nutze sie also sorgfältig! Du öffnest wie gewohnt alle Schnallen, machst ein Hohlkreuz, legst die Arme nach hinten oben, um aus dem Gurt zu kommen, nimmst den Kopf auf die Brust und tauchst ausatmend nach unten weg. Der Schirm zieht Dir das Gurtzeug über den Rücken.
Wenn Du Schnelltrennkarabiner hast, versuche, sie gleichzeitig zu öffnen. Das erleichtert das Freikommen. Zwar wird der Schirm kurz nach Öffnung auch eines Karabiners zusammenfallen und der Zug nachlassen, aber zuerst wirst Du noch umgeworfen und unter Wasser gezogen.
7.9.3. Der Schirm fällt über Dir zusammen:
Schnall Dich zuerst aus dem Gurtzeug. Nun ist es besonders wichtig, die Beine ruhig zu halten, denn rings um Dich hängen Leinen im Wasser. Beim Niedersinken hat der Schirm genug Luft mitgenommen, daß Du damit etliche Zeit auskommen kannst. Tauche nach unten aus dem Gurtzeug. Ausatmen erleichtert das Versinken, ohne daß Du Dich bewegst.
Wenn Du unter dem Schirm im Wasser treibst, legst Du Dich auf den Rücken - ohne Gurtzeug ist das kein Problem- und faßt eine Leine oder Naht. Die ziehst Du Hand über Hand langsam vom Kopf nach unten und Dich somit von der Kappe weg. Halte dabei die Beine leicht gegrätscht bewegungslos und ziehe mit bedächtigen Armbewegungen (besonders beim Nachgreifen), so daß Du nicht die Arme in Leinen verhedderst. Bleib´ gelassen, unter dem Schirm ist genug Luft zu Atmen.
7.10. Wasserung mit dem Drachen:
Ich habe keine Erfahrung mit Drachen (außer Kolleginnen, Schwestern und Schwiegermüttern), meine Übungen beschränken sich auf Fallschirmwasserungen, aber prinzipiell müßte das genauso sein. Das heißt, Du machst Dich wie gewohnt vom Gurtzeug los, vergewisserst Dich, daß Du nirgends hängen bleibst und tauchst nach unten weg. Dabei kannst Du eigentlich sogar die Beine benutzen, solange kein Rettungsschirm geöffnet im Wasser liegt.
7.11. Verhalten im Wasser:
Auch in der wärmeren Jahreszeit droht die Hauptgefahr im Wasser durch die Auskühlung. Deshalb die Kleidung anbehalten! Auch die durchnäßte Kleidung ermöglicht die Bildung einer isolierenden Schicht auf der Haut, was die Unterkühlung verlangsamt. Dadurch gewinnst Du ein paar Minuten, die entscheidend sein können.
Verausgabe Dich nicht! Nutze die "Toter Mann" Stellung und Aufblasen Deiner Kombi, um Energie zu sparen. Du erleichterst Deinem Körper damit die Zentralisation. Dabei werden die Extremitäten weniger durchblutet, das restwarme Blut im Körperstamm bei den lebenswichtigen Organen gehalten. Wenn Du aber anfängst zu schwimmen, dann muß Dein Körper Arme und Beine mehr durchbluten und das kalte Blut mit dem warmen vermischen. Damit verkürzt Du Deine Überlebenszeit. Der Mensch kann einiges an Unterkühlung wegstecken, solange der Zentralisationsmechanismus klappt (Sicher frierst Du wie ein Schneider, aber Du lebst). Auch hinterher ist wichtig, nicht bewegen, nichts tun, was die Durchblutung anregt. Das Wiederaufwärmen muß langsam und durch Fachleute erfolgen.